Ohne Skrupel

Die dubiosen Geschäftspraktiken und das aggressive Lobbying des Glücksspielriesen Novomatic beschäftigen Politik und Justiz seit Jahren. Erstmals wird nun gegen das Novomatic-Oberhaupt Johann Graf ermittelt.

Text: Florian Peschl, Ashwien Sankholkar, Florian Skrabal

Korruption2.12.2019 

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»Ich war ein totaler Insider«, sagt Peter Barthold. Einst spielte er als Einsergoalie beim SK Rapid Wien, dann hängte er seine Stoppelschuhe an den Nagel und machte lukrative Geschäfte mit einem anderen Spiel, verruchter und gnadenloser als Fußball: dem kleinen Glücksspiel. Anfang der 2000er-Jahre sperrt er als kleiner Novomatic-Partner seine ersten Glücksspiellokale am Stadtrand Wiens auf und bekommt ungewöhnlich hohen Besuch. 

Auf Fotos von den Eröffnungsfeiern sind neben Novomatic-Gründer Johann Graf die damaligen Vorstände des Konzerns, Franz Wohlfahrt und Johannes Hahn, der einstige Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler sowie die hochrangigen Polizeibeamten Karl Mahrer, Roland Horngacher und Franz Schnabl, seit März 2018 Landeshauptfrau-Stellvertreter in Niederösterreich, zu sehen. Die geselligen Schnappschüsse geben tiefe Einblicke in Novomatics Erfolgsrezept: enge Kontakte und integratives Lobbying in elitären Kreisen.

»Novomatic zahlt alle«, offenbarte Heinz-Christian Strache im berühmt-berüchtigten Ibiza-Video. Seit dem Sommer steht der Glücksspielriese im Visier der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – und im Fokus einer umfassenden DOSSIER-Recherche. Nach Lektüre des vertraulichen Novomatic-Strafakts und Gesprächen mit Insidern wie Barthold wird deutlich: Hinter Glanz und Glamour steckt ein skrupelloses System, in dem Grenzen ausgereizt, mitunter auch überschritten werden. Politiker werden eingekocht, Gesetze großzügig ausgelegt, Kunst- und Kulturschaffende und Medienhäuser mit Geld regelrecht überschüttet. 

Wer nicht mitspielt, den besuchen Desperados im Nadelstreif: Anwälte klagen auf Unterlassung und Rufschädigung, Verlagshäuser fürchten um Inserate, teure Lobbyisten oder PR-Berater erledigen den Rest. Die Botschaft ist klar: Mit den »Novos«, wie die weltweit 30.000 Mitarbeiter genannt werden, legt man sich nicht an. »Dass diese Form des Glücksspiels nicht im Interesse eines funktionierenden Staatswesens ist, da man dadurch große Teile der Bevölkerung bewusst in Abhängigkeiten führt, scheint logisch zu sein«, sagt Maximilian Edelbacher, einstiger Leiter des Wiener Sicherheitsbüros, der größten Kriminaldienststelle der Polizei. Spielsüchtige aus ärmeren Milieus werden systematisch ausgenommen. Auf der Gewinnerseite steht nicht nur Novomatic, sondern auch der Staat. 

»Diese Doppelmoral bringt Steuereinnahmen, daher ist man offensichtlich staatlicherseits auf einem Auge ziemlich blind. Ich bin froh, nicht mehr damit beschäftigt zu sein, denn Typen wie die Novomatic-Leute sind mir suspekt.« Als Korruptionsjäger beobachtete Edelbacher, wie der Konzern immer mächtiger wurde. »Durch geschicktes Netzwerken wurde ein Imperium aufgebaut, das an das Agieren gut organisierter Krimineller in Italien erinnert, die sich vom Boden der Illegalität zunehmend in die Legalität emporarbeiteten und heute praktisch ›unangreifbar‹ sind.« 

Die von Edelbacher beschriebenen Methoden beschäftigen heute die Justiz. Die Staatsanwälte, die die Novomatic-Gruppe gerade auf den Kopf stellen, interessieren sich für Organisationsstrukturen, interne Befehlsketten und dafür, wie die »Novos« Einfluss auf den Gesetzgeber ausüben. Zurzeit wird wegen des Verdachts der Bestechung und Untreue rund um die Casinos Austria – Novomatic hält 17 Prozent der Anteile – ermittelt. Auf Grundlage eines Masterplans sollen Spitzenpolitiker angefüttert worden sein, um den Herzenswunsch von Johann Graf zu erfüllen: ein Glücksspielgesetz im Sinne seiner Novomatic. Graf, den sie ehrenvoll »Professor« nennen, ist das geheimnisumwitterte Oberhaupt des Novomatic-Clans. Gemeinsam mit Vorstandschef Harald Neumann steht er auf der Beschuldigtenliste der WKStA. 

In den vergangenen Monaten fanden mehrere Hausdurchsuchungen statt. Auch Grafs Hauptwohnsitz wurde gefilzt. Beschlagnahmt wurden »E-Mails, elektronische Daten und Datenträger, Laptops, Handys und sonstige Unterlagen und Beweisgegenstände, aus denen sich insbesondere Informationen zum Bestellvorgang des Mag. Peter Sidlo zum Vorstandsmitglied der Casinos Austria« ergeben, heißt es in der DOSSIER vorliegenden Durchsuchungsanordnung. Graf und Neumann sollen Heinz-Christian Strache – als damaligem FPÖ-Obmann und Vizekanzler – einen Job für den einstigen FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo sowie Parteispenden zugesichert haben, »nämlich für die parteiische Vergabe von Glücksspiellizenzen, konkret einer ›Casino-Lizenz in Wien‹ und einer ›nationalen Online-Gaming-Lizenz‹ an die Novomatic AG sowie für eine wohlwollende Unterstützung der Novomatic AG bei ›regulatorischen Glücksspielbelangen‹ auch auf Bundesebene«. 

»Diese Vorwürfe sind völlig haltlos«, sagt Novomatic-Pressesprecher Bernhard Krumpel gegenüber DOSSIER. Doch die bei den Razzien sichergestellten Beweise, etwa Whatsapp-Chats und E-Mails, nähren den Bestechungsverdacht. Mitte November 2019 wurden bei Casinos-Präsident Walter Rothensteiner und seinem Stellvertreter Josef Pröll Notizen gefunden, die einen Gesetzeskauf über Postenvergaben nahelegen. In einem Aktenvermerk vom Februar 2019 notierte Rothensteiner über einen Termin mit dem damaligen Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP): »Hat mit Graf konferiert, der hat irgendeinen Hintergrund-Deal mit den Blauen. Daher ist Sidlo ein Muss. Alternativkandidat von Neumann gibt es nicht mehr, Graf will es nicht. Habe Löger gesagt, dass ich damit eigentlich meine Funktion überdenken muss. Versteht er, bittet mich, ihn zu verstehen. Er wird mit Pröll und Sazka reden, damit wir einstimmig bestellen können.« 

Die Sazka-Gruppe ist neben Novomatic und der staatlichen Beteiligungsgesellschaft Öbag der dritte Casinos-Großaktionär. Im Endeffekt wurde Peter Sidlo einstimmig von Neumann, Pröll und Rothensteiner – der Sazka-Vertreter enthielt sich – zum Casinos-Vorstand gekürt, so wie es Graf wünschte. Der FPÖ-Novomatic-Deal ist politischer Sprengstoff. Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper sagt zu DOSSIER: »Die Vorwürfe sind haarsträubend, daher fordern wir einen Untersuchungsausschuss in der Causa.« Graf, Neumann, Pröll und Rothensteiner weisen strafrechtlich relevantes Verhalten gegenüber DOSSIER zurück. Peter Sidlo will im Moment keine Gespräche mit Medien führen, weist die Vorwürfe aber zurück. Strache war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Für Johann Graf stellt die Affäre eine Zäsur dar. Noch nie zuvor stand er persönlich im Visier der Ermittler. Seine hochbezahlten Anwälte konnten ihn bisher abschotten. So konnte er ungestört die Strippen ziehen und Atemberaubendes schaffen: Aus dem kleinen Spezialisten für einarmige Banditen formte der 72-jährige Graf einen Weltkonzern mit heutigem Sitz in Gumpoldskirchen, Niederösterreich, und Standorten in mehr als 50 Ländern. Die Geschichte des laut Forbes-Magazin zweitreichsten Österreichers erzählt vom rasanten Aufstieg eines Einzelnen, für den andere einen hohen Preis zahlten. 

Graf wächst in den 1950er-Jahren in bescheidenen Verhältnissen in Wien-Döbling auf, bei seinen Großeltern, ohne fließendes Wasser. Mit 23 wird er Österreichs jüngster Fleischhauermeister. Den Familienbetrieb, eine Metzgerei mit Wirtshaus, will er nicht übernehmen, beginnt stattdessen Flipperautomaten zu importieren und steigt auf die Herstellung und den Betrieb von Geldspielautomaten um. Seine Novomatic wird 1980 gegründet. Schon damals galt das kleine Glücksspiel als schmutziges Geschäft, da es jene in den Ruin treibt, die ohnehin schon wenig haben, oft auch ihre Angehörigen. Graf selbst spricht nicht mit Medien, zeigt sich selten in der Öffentlichkeit und bekleidet auch keinen aktiven Posten im Glücksspielkonzern. Der Padrone ist der alleinige Eigentümer und lässt seine Marionetten tanzen.

Zuerst machte er den ÖVP-Politiker Johannes Hahn zum Vorstandschef (1997), danach seinen langjährigen Anwalt Franz Wohlfahrt (2004), zuletzt den nibelungentreuen Harald Neumann (2014). Graf, dem Oldtimer sammelnden Selfmademan, konnte nie etwas Strafrechtliches nachgewiesen werden, auch nahezu alle Ermittlungen gegen Novomatic wurden früher oder später eingestellt, etwa die berüchtigte »Glücksspiel-Affäre« rund um eine geplante Gesetzesnovelle im Jahr 2005. Nach sieben Jahren Ermittlungen gegen Ex-Novomatic-Boss Wohlfahrt, Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und den Lobbyisten Walter Meischberger wurde der Korruptionsverdacht im April 2017 zu Grabe getragen. Die WKStA stellte fest, dass zumindest 50.000 Euro Novomatic-Geld von Meischberger in bar auf ein Liechtensteiner Konto eingezahlt wurden. Das Konto soll laut WKStA Grasser gehören, was dieser bestreitet. 

In der auf DOSSIER-Anfrage am 10. Oktober 2019 veröffentlichten Einstellungsbegründung heißt es: »Abschließend ist somit festzuhalten, dass nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit bewiesen werden kann, dass die Initiative zur Auflockerung des Glücksspielmonopols per Abänderungsantrag vom Bundesminister für Finanzen und genauerhin von Mag. Karl-Heinz Grasser ausging.« Novomatic-Sprecher Krumpel: »Es gab und gibt keine Zahlungen oder finanziellen Zuwendungen an den damaligen Finanzminister. Es gab und gibt keine strafbaren Handlungen seitens der Novomatic AG, deren Organen oder Mitarbeiter.«

Hocheggers Masterplan

Die Vorwürfe haben dem Glücksspielriesen bislang nicht geschadet. Obwohl Spielsucht ihr Geschäftsmodell ist und immer wieder Bestechungsvorwürfe erhoben werden, gilt Novomatic als salonfähiger Kooperationspartner. Die Gunst der Öffentlichkeit wird durch großzügiges Sponsoring erkauft: Sozialvereine, Universitäten, Theaterhäuser, Integrationsprojekte, Museen – die Empfängerliste ist lang und vielfältig. Vom verstorbenen Niki Lauda über den ORF-Moderator Alfons Haider bis zum Starautor Robert Menasse – der Glücksspielriese zahlte sie alle. Dass der Staat bei Novomatic gerne ein Auge zudrückt, liegt nicht nur an der hohen Steuerleistung. Schwarze, rote, blaue und grüne Ex-Politiker unterstützten Grafs Profitstreben tatkräftig. Ein kleiner Auszug aus der Payroll der vergangenen Jahre: Der amtierende EU-Kommissar Johannes Hahn war einst Novomatic-Vorstand und zugleich ÖVP-Landesgeschäftsführer und Gemeinderat in Wien, der Ex-Innenminister Karl Schlögl (SPÖ) saß von 2004 bis 2011 im Aufsichtsrat, seit 2018 fungiert die Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig als Nachhaltigkeitsmanagerin im Konzern. 

Vieles von dem, was Novomatic in den vergangenen 15 Jahren zur Imagepflege unternommen hat, findet sich Wort für Wort im vertraulichen »Masterplan«, den der Lobbyist Peter Hochegger schon 2005 ausgeheckt hatte. Das Dokument ist ein umfassendes Strategiepapier, das auf politischen und medialen Einfluss, Imagepolitur – »raus aus der Schmuddelecke« – und die Aufweichung des Casinos-Austria-Monopols abzielt. Es weist darauf hin, wie wichtig es sei, die »richtigen Ansprechpartner« in der Politik zu finden und ihnen die Vorteile klarzumachen: »Politiker werden in der Regel erst dann tätig, wenn sie für sich einen konkreten Nutzen darin sehen«, wie einen »Informationsvorsprung durch Einbindung, Schaffen einer medialen Bühne, konkrete Kooperations- oder Sponsoringprojekte in einem Wahlkreis«. 

Der »Masterplan« umfasst eine Liste einflussreicher Politiker – mit Einschätzungen ihrer Positionen betreffend eine Aufweichung des Monopols zugunsten von Novomatic. Als bereits Kooperierende werden der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser sowie sein Nachfolger Wilhelm Molterer (ÖVP) angeführt. Neben der »Weiterbetreuung von ÖVP und BZÖ« wird die »Einbindung der Grünen«, der FPÖ in Person des damaligen Wiener Parteichefs Heinz-Christian Strache sowie der SPÖ durch Kontakt zu einem Ex-Kanzler angedacht: »Hier gibt es bereits Zusicherung seitens Dr. Gusenbauer an Dr. Wohlfahrt.« Gusenbauer war vor wenigen Jahren als Novomatic-Aufsichtsratschef im Gespräch und saß einige Zeit im Aufsichtsrat der deutschen Novomatic-Tochter Löwen Entertainment, dem heute Eva Glawischnig angehört. Vom Paulus zum Saulus? Als Grünen-Chefin kritisierte sie Novomatic heftig, heute klingt sie anders: 

Sie arbeite für »eine tolle Firma, ein cooles Unternehmen«, sagte Glawischnig jüngst im ZiB 2-Interview. Und Strache? Ein gutes Jahrzehnt nach Hocheggers »Masterplan« macht dieser in einer Finca auf Ibiza deutlich, dass er das Glücksspielmonopol der Casinos Austria zerschlagen und neue Lizenzen vergeben will, wenn die Blauen einmal regieren: »Die Zusage, das Monopol für das Glücksspiel aufzubrechen, die ist sowieso klar«, sagt Strache im Video. »Dort, wo wir Dinge in der Privatisierung als Vorteil sehen, wollen wir Dinge privatisieren und verkaufen als Staat.« Direkte Zahlungen an die FPÖ sind zwar bisher nicht feststellbar, wohl aber indirekte: Novomatic finanziert seit 2018 das vom FPÖ-Mandatar Markus Tschank gegründete Institut für Sicherheitspolitik (ISP), einen jener Vereine, die die WKStA zurzeit auf illegale Geldflüsse untersucht. 

»Eine Querfinanzierung an eine Partei oder parteinahe Organisationen ist nicht erfolgt«, sagt Tschank gegenüber DOSSIER. Die Beteiligten bestätigen eine »mehrjährige Kooperationsvereinbarung«, in der sich Novomatic bis 2020 zu Zahlungen von insgesamt 200.000 Euro im Gegenzug für »definierte Leistungen« verpflichtet. Alles »korrekt versteuert«, sagt Tschank – und »im Sinne der Vereinsstatuten«. Solche Gefälligkeiten bringen Novomatic dennoch in die Bredouille, denn bei den Razzien 2019 wurden Chats zwischen Neumann und Pressesprecher Krumpel entdeckt, wonach Neumann ihn anweist, Kontakt mit Tschank aufzunehmen. Als der darauf hinweist, dass Tschank in der FPÖ nicht für Glücksspiel zuständig sei, antwortet Neumann: »Egal. Brauchen jemanden, der das Thema Kasinolizenzen einbringt!«

Die Schlacht um Wien

In Wien führte Novomatic den brutalsten Kampf um den Markt. 2017 verurteilte der Oberste Gerichtshof (OGH) Novomatic, weil eine ihrer Firmen jahrelang mit manipulierten Apparaten das Gesetz »umschiffte«. Dieses sieht einen Höchsteinsatz von 50 Cent und einen Gewinn von maximal zehn Euro pro Spiel vor, aber schon eine einzige Taste erlaubte es Spielern sogenannter Action Games, Einsätze weit über das erlaubte Limit zu heben, wodurch der Konzern Umsätze illegal vervielfachte. 

»Kein Gericht hat jemals eine ›Manipulation‹ festgestellt, und wir weisen diese Behauptung auf das Schärfste zurück«, schreibt Novomatic-Sprecher Krumpel: »Es gibt bloß eine vereinzelte Entscheidung des OGH auf Basis eines zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr bekämpfbaren festgestellten Sachverhalts.« Dass die Stadt Wien diesem illegalen Treiben, das tausende Spielsüchtige hervorbrachte, jahrelang tatenlos zugesehen hat, darf als wohl größter Sündenfall von Ex-Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) bezeichnet werden. Seit dem OGH-Spruch wurde Novomatic mehrfach in erster Instanz verurteilt, Spielern ihr verzocktes Geld zurückzuerstatten. 

Anfang Oktober 2019 gestand das Wiener Neustädter Landesgericht einem Spieler 155.000 Euro zu, weil das Unternehmen mit manipulierten Automaten »verbotenes Glücksspiel« betrieben hatte. Novomatic ging in Berufung. 2012 hatte die Staatsanwaltschaft St. Pölten ein Großverfahren gegen Novomatic eingestellt, das auf rund 300 Anzeigen von Staatsanwaltschaften, Landeskriminalämtern, Polizeikommandos, Finanzämtern sowie Spielern basierte. Der zentrale Vorwurf: Betrieb von illegalem Glücksspiel durch manipulierte Spielautomaten. 

Die Staatsanwaltschaft stützte sich damals bei ihrer Einstellung auf die Expertise von Walter Schwartz. Interessantes Detail: Schwartz war eng mit Novomatic verbunden, hatte sogar den Kommentar zum Glücksspielgesetz, auf den sich die Justiz mehrfach bezog, mit seinem früheren Anwaltskollegen und späteren Novomatic-Boss Franz Wohlfahrt geschrieben. Als Wien das kleine Glücksspiel in der Stadt mit Ende 2014 verbot, zogen Novomatic-Firmen vor den Verfassungsgerichtshof. Der Name von Novomatics Rechtsvertreter: Walter Schwartz.

Höchst fragwürdig war auch der sogenannte Kammerltrick, der in Wien ab Ende der Neunzigerjahre erstmals zum Einsatz kam. Um den Automatenwildwuchs in der Hauptstadt einzudämmen, war im Wiener Gesetz verankert, dass nur zwei Münzspielapparate »an derselben Veranstaltungsstätte« stehen dürfen. Provisorische Kleinkasinos mit Leuchtreklamen wie »Joker’s«, »Snack’s« und »Sporttipp« begannen aus dem Betonboden zu schießen. Durch gewieften Einsatz von Trennwänden und zusätzlichen Eingängen wurden viele Lokale in Minispielhallen mit einer Vielzahl an Apparaten verwandelt. 

»Zu meiner Zeit gehörten zur Novomatic mehrere Firmen, die diese Kammerln für sie betrieben haben: HTM, NMN, KNY, Aleator, Polanz, Schaaf und G.A.M.E. SYS«, sagt Peter Barthold, der von 2001 bis zum Verbot des kleinen Glücksspiels 2014 den Gastronomiebetrieb in bis zu zehn solcher Lokale innehatte. Auf dem Papier waren die von Barthold genannten Firmen eigenständige Unternehmen, doch wie DOSSIER-Recherchen zeigen, scheinen die Fäden bei Novomatic zusammengelaufen zu sein. Novomatic-Sprecher Bernhard Krumpel weist auch den Vorwurf der Umgehung von Gesetzen zurück: »Nach der damaligen Rechtslage in Wien wurden von Novomatic alle gesetzlichen und behördlichen Vorgaben eingehalten.« 

Lokal für Lokal eroberte Novomatic jedenfalls den Wiener Markt, bis die Automatenhallen Straßenzüge säumten. Ende 2014, kurz bevor das Verbot des kleinen Glücksspiels in Kraft trat, betrieb die Konzerngruppe laut einer Aussage von Erich Kirchberger 2.800 konzessionierte Apparate in der Stadt. Damit bestätigte der Geschäftsführer der Novomatic-Firmen Austrian Gaming Industries (AGI) und HTM, was lange vermutet worden war: Novomatics Vormachtstellung in Wien. 

Ohne Kasino-Glamour, weit weg vom noblen Novomatic-Forum am Naschmarkt, dafür im Dunst der Reinprechtsdorfer Straße. Auf gut einem Kilometer gab es dort 26 Spiellokale, die mit Abstand höchste Dichte entlang einer Straße. Wie Recherchen von DOSSIER zeigen, standen die meisten Apparate in einkommensschwachen Gegenden. Bezogen auf die Einwohnerzahl gab es in Rudolfsheim-Fünfhaus, dem Bezirk mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen, nahezu siebenmal so viele Apparate wie in Hietzing, dem einkommensstärksten Stadtteil. Nicht ohne Kalkül, im 15. Bezirk lebt die bevorzugte Novomatic-Zielgruppe: einkommensschwache und bildungsferne Menschen, vor allem Männer, viele mit Migrationshintergrund.

In Niederösterreich gelang Novomatic 2005 ein sensationeller Coup. Ohne Rücksprache genehmigten zwei Sachbearbeiter der Landesregierung quasi über Nacht 2.500 Automaten, just als die zuständige Landesrätin Christa Kranzl (SPÖ) auf Urlaub weilte. Noch nie zuvor waren Konzessionen für mehr als acht Apparate auf einmal erteilt worden. Der Bescheid wurde prompt zugestellt und enthielt den Vermerk »Wie telefonisch mit Herrn Dr. Wohlfahrt vereinbart«. Kranzl gegenüber DOSSIER: »Ich erfuhr es erst durch Außenstehende. Nichts stimmte mit üblichen Vorgehensweisen überein, unter anderem wurde der Bescheid ohne die erforderlichen Belege ausgestellt.« Kranzl versuchte die Konzessionen rückgängig zu machen, scheiterte aber. Der Konzern drohte mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Ein Jahr später führte Niederösterreich das kleine Glücksspiel offiziell ein. 

Gnadenlos agiert der Glücksspielriese, wenn er attackiert wird. Wenn gutes Zureden nicht wirkt, werden härtere Bandagen angelegt. Als 2006 eine Gesetzesverschärfung beim kleinen Glücksspiel im Raum stand, drohte Novomatic sogar mit Abwanderung. »Ich war persönlich betroffen, mein Geschäft war gefährdet«, erinnert sich Barthold. Er fuhr nach Gumpoldskirchen, um persönlich mit Novomatic-Vorstand Wohlfahrt zu sprechen. Dieser versicherte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, und zeigte Barthold zwei Briefe, die er persönlich verfasst hatte. Einer war an Finanzminister Grasser adressiert, der andere an Bürgermeister Häupl

Wohlfahrt warnte die beiden Spitzenpolitiker mit Brief und Siegel: Dem Staat würden wegen der damals angedachten »Restriktionen« bis zu 50 Millionen Euro Umsatzsteuer und »rund 100 Millionen Euro an Landesabgaben in den Bundesländern Wien, Niederösterreich, Steiermark und Kärnten« entgehen. Ein Aus für das kleine Glücksspiel »würde unserem Konzern (…) die Geschäftsgrundlage für den österreichischen Automatenmarkt und die Absicherung unserer heimischen Arbeitsplätze entziehen und uns zwingen, einen Großteil unserer Mitarbeiter zu kündigen«. Beide Amtsträger bat der damalige Novomatic-Vorstand abschließend um einen »raschen Gesprächstermin«, um eine Lösung zu finden – und siehe da: Von einer Verschärfung wurde damals abgesehen.